Buchsbaumanalyse

2016-2017

Kunsthaus Kloster Gravenhorst

Buchbaumanalyse / Topiary land

Die Vorgärten der Barbarastraße in Ibbenbüren haben sich vielfach gewandelt. Als Bergmannsiedlung in den 1950er Jahren entstanden, wechselte über die Zeit die ursprüngliche Nutzung mit Obstbäumen über Tannenreihen und Rasenflächen hinter dem Jägerzaun hin zu einer umfassenden Dominanz von Arrangements mit formgeschnittenen Büschen und Bäumchen. Als gäbe es eine unausgesprochene Vorschrift, nutzen nun nahezu alle Hausbesitzer das gleiche, für unsere Breiten eher unnatürliche Pflanzenmaterial, um damit ihre Vorgärten individuell und besonders, aber zugleich den Nachbarsgärten gleichend einzurichten. In erstaunlicher Varianz formulieren sich raumgreifende Installationen aus Kuben, Kugeln, Kegeln und Lineaturen – die Art der Arrangements hat eine Verwandtschaft mit Kompositions-Kriterien einer streng formalen, minimalistischen Kunst. Mal systematisch strukturiert, mal rätselhaft angeordnet, zwischen Natur und Künstlichkeit, freiem Wuchs und Ordnung, markieren sie den Bereich zwischen Haus und Straße, als eigentümlich ordnende Raumzone zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen. Aber auch die Periode des Formschnittgehölzvorgartens scheint ausgezählt. Der Buchsbaumzünsler und eine Pilzerkrankung dezimieren den Bestand massiv, und ein fortschreitender Pragmatismus verwandelt die Vorgärten vielleicht schon bald in gepflasterte und verkieste Flächen, in denen der Bewuchs durch Steinstelen ersetzt ist. Einen Sommer lang war ich zu Gast in der Barbarastraße, um die Vorgärten dort plein-air zu aquarellieren.” Oliver Gather, Topiary Land, 2017

Bereits zum zweiten Mal erhält der Künstler Oliver Gather die Möglichkeit zur Realisierung eines seiner feinsinnigen partizipatorischen Projekte im Rahmen dieses Stipendiums. Wie auch bei seiner 2014 realisierten künstlerischen Untersuchung zum Thema »Selbstmachen und Selbstfindung« steht der kommunikative Aspekt im Vordergrund seiner künstlerischen »Feldforschung«. Gather verlässt auch hier wieder sein Atelier und den museal besetzten Ausstellungsraum, um vor Ort mit Bewohnern des Landkreises ins Gespräch zu kommen, deren Ideen zu sammeln und neu zu ordnen, um schließlich daraus eine Systematik zu entwickeln, die eine eigene Sicht auf die Dinge ermöglicht. Vorgärten, insbesondere deren Bepflanzung mit Buchs und anderen Gehölzen, die durch Formschnitt immer einem vehementen gärtnerischen Gestaltungswillen ausgesetzt sind, werden in den Fokus dieser künstlerischen Analyse gerückt. 

An der Schnittstelle zwischen öffentlichem und privaten Leben orientiert sich die Gestaltung und Bepflanzung der Vorgärten zunächst an den persönlichen kreativen Vorstellungen der Gartenbesitzer, möglicherweise angeregt durch historische Vorbilder, ästhetische Gestaltungsprinzipien aus Design und Kunst oder auch durch ganz persönliche Lebenssituationen als modellhafte Reflexion familiärer Strukturen und deren Geschichte … Diesen Fragen nach dem »warum« geht Gather nach, indem er sich mit Feder, Pinsel und Farben zunächst an eine zeichnerische Bestandsaufnahme macht. Nicht die schnelle fotografische Notiz, sondern diese behutsame Auseinandersetzung mit einem Thema zwischen Oberfläche und Einblick, Image und echter gärtnerischer Leidenschaft öffnet den Blick auf bürgerliche Werte und individuelle Lebensmodelle. Nach Meinung der Jury liegt die Qualität des Projektes in der Verschränkung komplexer Themenbereiche und künstlerischer Strategien mit der Leichtigkeit einfacher Fragestellungen, die sich aus dem Alltäglichen ergeben. Die inhaltliche Tiefe des Projektes eröffnet sich erst sukzessiv in all der politisch und sozial angelegten Dimensionierung. Damit liefert Gather eine brisante Untersuchung von Heimat und Idylle aus heutiger Sicht.

 
 
 
 
 
 
 

Barbarastraße 6

Barbarastraße 12

Barbarastraße 27

Barbarastraße 7

Barbarastraße 10

Barbarastraße 16

Barbarastraße 16

Barbarastraße 27

Barbarastraße 45

Übersichtsplan Barbarastraße

Publikation 2018